absatzwirtschaft, Heft 12/2021 S. 54f. | Responsible Marketing I
Susanne Hensel-Börner I Inga Schmidt-Ross I Wolfgang Merkle

Responsible Marketing:

Marketeers: Stellt Euch Eurer Verantwortung!

Um das Image des Marketeers scheint es aktuell nicht zum Besten bestellt. Ein manchmal belächelter Job, allzu häufig reduziert auf hübsche Bilder und platte Reklame für bunte, nicht immer relevante Marken, entwickelt von schrillen Agenturen. Oft hört man sogar noch den Vorwurf, dass wir doch genau die seien, die All-Inclusive-Reisen in die Sonne an-bieten, bei denen der Flug günstiger ist als das Bahnticket zum nächstgelegenen internationalen Flughafen. Oder dass wir Fast-Fashion vermarkten, die unter unwürdigen Bedingungen in Fernost produziert wurde und mit kostenlosen Rücksende-optionen den Wegwerf-Konsum forciert.

Auch unternehmensintern gerät das Marketing zunehmend unter Druck: Immer häufiger ist es die IT, die die Kundensegmen-tierung neu erfindet und vormacht, wie man mittels Algorithmen und KI das Konsumverhalten vorhergesagt oder Attributionsmodelle analysiert. Es sind auch die benachbarten Sales-Teams, die die kundenindividuelle Omni-Channel-Experience mittels ausgefeilter CRM-Systeme optimieren. Die Jungen Wilden sind ohnehin völlig gechillt und perfektionieren den Kundendialog über immer mehr Social Media-Kanäle. Und der Vorstand schließlich ist maximal KPI fokussiert – was hier zählt, ist Performance, und das jederzeit und auf Knopfdruck!

Genug der Nabelschau. Denn der Blick nach draußen zeigt, wie stark der Klimawandel unsere Welt verändert und zum Um-denken zwingt. Das Pariser Abkommen mit dem vereinbarten Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung ist bindend und bringt ganz neue Themen auf die Agenda von Politik, Unternehmen und Konsumenten. Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben sich vom nice-to-have zum must-have entwickelt.

So hat beispielsweise die Einführung der Nachhaltigkeitsberichtspflicht nicht nur Auswirkungen auf direkt betroffene Unternehmen. Sie hat auch eine (durchaus beabsichtigte) Strahlkraft auf alle in der Wertschöpfungskette eingegliederten Unternehmen. Gesetzliche Vorgaben wie das Lieferkettengesetz, die CO2-Bepreisung oder die Einwegkunststoffverbots-verordnung (was für ein Naming für das Verbot von Plastikstrohhalmen und Wattestäbchen) haben substanziellen Einfluss auf die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Produkte und Leistungen erstellen und vermarkten oder wie diese von den Kunden gekauft, verwendet und konsumiert werden. Die Kenntnis des Brundtland Reports Our common Future (oder zumindest einer knappen Zusammenfassung dessen) und Begriffe wie Triple Bottom Line werden zunehmend zum Managementstandard und haben ihre Heimat längst nicht mehr nur in den CSR-Abteilungen.

Zu guter Letzt sind da noch die Konsumenten, die in ihren Familien heftig diskutieren und an den Abendbrottischen Pläne für einen bewussteren Konsum schmieden. Auch wenn viele in der Realität noch am sogenannten Attitude-Behavior-Gap – also der Lücke zwischen ihrer Einstellung zur Nachhaltigkeit und ihrem tatsächlichen (Kauf-)Verhalten – scheitern, nehmen Kunden die Anbieter zunehmend in die Pflicht, sie bei ihrem Streben nach einem gesünderen Leben und nachhaltigeren Agieren nicht nur ernst zu nehmen, sondern auch zu unterstützen. Sie belohnen transparente und authentische Unternehmen mit erhöhter Preisbereitschaft, Loyalität und positivem Word-of-Mouth. Und genau daraus leitet sich die Chance und zugleich Verantwortung für ein zeitgemäßes und verantwortungsvolles Marketing ab.

Heute kommt kaum noch eine Kommunikationskampagne ohne einen (zudem nicht immer nachvollziehbaren) Claim zu Nachhaltigkeit, Klimafreundlichkeit oder CO2-Neutralität aus. Und genau hier schlummern echte Risiken, beziehungsweise es geht das Schreckensgespenst Greenwashing um. Gemeint sind Kampagnen, die auf bewussten Fehlinformationen beruhen, durch fehlende Transparenz zu Produktionsprozessen gekennzeichnet sind oder lediglich darauf abzielen, ein Nachhaltig-keitsimage ohne jegliche Grundlage aufzubauen. Solche Kampagnen schaden immens. Sie zerstören Vertrauen bei den Kunden und schmälern die Glaubwürdigkeit der bereits positiv agierenden Unternehmen. Zusätzlich bergen auch nachhaltige Markierungen und Botschaften die Gefahr, selbst reflektierten Konsumenten einen Freifahrtschein für legitimierten Mehrkonsum mit dem guten Gewissen auszustellen.

Um diesen Gefahren vorzubeugen, haben Marketingvordenker wie Philip Kotler schon Anfang der 70iger Jahre von De-Marketing gesprochen und die notwenige Abkehr von Unsustainable Marketing eingefordert. Allerdings sind solche Appelle lange verhallt – schlichtweg, weil der gesellschaftspolitische Druck dazu erst in jüngster Zeit gewachsen ist.

Die Zeiten haben sich geändert – jetzt ist die Chance nicht nur gehört zu werden, sondern etwas zu bewirken. Wenn wir jetzt keine Fehler machen und unsere Werkzeuge richtig einsetzen, kann es dem Marketing gelingen, Kunden, Unternehmer und Entscheider vom Reden zu tatsächlich nachhaltigem Handeln zu bringen. Auch wenn wir als wesentlicher Player der Vermarktungsmaschine bisher Teil des Problems waren – heute können und müssen wir ein wichtiger Teil der Lösung sein.

Zu den Kernaufgaben des Marketings zählt, Innovationen zu treiben, Märkte zielgruppenspezifisch zu definieren, Bedarfe zu wecken, Produkte und Leistungen zu vermarkten, Botschaften und Stories zu formulieren, Trends und Bewegungen zu initiieren, Marken zu kreieren und sie gemeinsam mit Kunden und anderen Stakeholdern zum Leben zu erwecken und unverwechselbar zu machen. Das sind die Dinge, die wir seit Jahrzehnten beherrschen, einsetzen und der nächsten Generation mit auf den Weg geben. Es liegt an uns, diese Instrumente zu hinterfragen, nachzuschärfen wo nötig und deutlich verantwortungsvoller zu nutzen und damit das Responsible Marketing als neues Zeitalter auszurufen. Ein Zeitalter, in dem Nachhaltigkeit als Innovationstreiber und nicht mehr nur als Kostenfaktor verstanden wird. Ein Zeitalter, in dem diese neue Marketingdisziplin die Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen und als festen Bestandteil in der Customer Experience verankert. Und ein Zeitalter, das ein Netzwerk aller Akteure für dieses große Ziel entstehen lässt. Marketeers: Vermasselt es nicht!

Susanne Hensel-Börner: 

Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Sales, HSBA Hamburg

Inga Schmidt-Ross:

Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, HSBA Hamburg

Wolfgang Merkle:

Präsident des Marketing Club Hamburg.

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