Die Gender-Diskussion ist noch lange nicht beendet

Das Thema Gender-Marketing wird derzeit kontrovers diskutiert. Nicht umsonst macht der Marketingclub Hamburg, einer der größten Marketingclubs in Deutschland, Ende Mai einen Abend zum Thema „Pink Painting: Gender-Marketing als Mittel zur Wahl?“ in der Alsterloge. Der Hamburger Marketingclub Präsident, Wolfgang Merkle, nahm vorab Stellung zu zentralen Fragen.

Herr Prof. Dr. Merkle, Gender-Marketing wird zunehmend kritisch diskutiert. Ist das Konzept noch zeitgemäß?

Warum „noch“? Die aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen rund um ungleiche Bezahlung oder Besetzung von Geschäftsführungs- und Vorstandsmandaten belegen deutlich, dass die Gender-Diskussion noch lange nicht beendet ist. Und gerade in einer Zeit, in der Konsumenten von Unternehmen verstärkt ethisches Handeln und die Einhaltung gesellschaftspolitischer Standards einfordern, werden die Berücksichtigung genderspezifischer Standards und die Überwindung überkommener Rollenmodelle wichtiger. Unternehmen müssen akzeptieren, dass sie auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung haben – und das wird in dieser Diskussion deutlich.

Ein aktueller Kritikpunkt ist Gender-Pricing: Gleiche Produkte sind für Frauen teurer als für Männer – siehe Nassrasierer. Ist das nachvollziehbar?

Dieser Punkt muss differenzierter diskutiert werden. Denn ein wichtiger Eckpfeiler innerhalb unserer liberalen Marktwirtschaft ist der Grundsatz, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen; mit dem dahinterstehenden Mechanismus, dass Konsumenten eigenverantwortlich entscheiden, ob und zu welchem Preis sie ein Produkt kaufen. Eine verbindliche Vorgabe einheitlicher Preise für bestimmte Produkte wird in einem solchen System kaum durchsetzbar sein; zumal dies eine Kontrolle nicht nur von vermeintlichen Gender-Produkten, sondern von sämtlichen Sonderauflagen und Special Editions nach sich ziehen müsste. Unabhängig davon, dass im aktuellen, eher preisaggressiv geführten Wettbewerb mit einer großen Auswahl alternativer Einkaufsstätten bei den meisten Produktkategorien ohnehin ein günstiges Preisumfeld vorherrscht.

Kommt ein Teil der Kritik gegenüber Gender-Marketing daher, dass die Unternehmen nicht Gender-Marketing, sondern Pink Painting nach dem Motto „Pink it and shrink it“ machen?

Ja, davon kann man ausgehen. Gemäß der Analogie „Pink Painting ist das neue Green Washing“ wird es sicherlich eine ganze Reihe von Unternehmen geben, die sich in die Gender-Diskussion nicht aus festen Überzeugungen, sondern eher aus einem simplen Geschäftskalkül heraus engagieren. Ein solches Vorgehen ist jedoch kritisch zu hinterfragen: Denn faktisch heucheln sie eine Diskussion um soziale Verantwortung vor, die nicht wirklich ernst gemeint ist. Und so finden sich sehr häufig gerade bei Unternehmen, die aktive Kommunikation im Gender-Bereich betreiben, besonders große Lücken.

Wann ist Gender-Marketing in Unternehmen sinnvoll?

Die Frage der Geschlechterbehandlung beziehungsweise die Hinterfragung, wie zeitgemäß Rollenmodelle der Gesellschaft von Unternehmen bedient werden, sollte grundsätzlich im Rahmen der jeweiligen Unternehmensphilosophie reflektiert werden. Aus meiner Erfahrung sollte dies allerdings nicht übertrieben dogmatisch vorgenommen werden, sondern als selbstverständlicher, integrierter Bestandteil der generellen Frage des Umgangs mit Mitarbeitern und Öffentlichkeit. Auch wenn wir uns einig sind, dass es bei vielen Unternehmen hier noch Nachholbedarf gibt.

WWelches positive Beispiel hat Sie in der letzten Zeit besonders beeindruckt?

 Als Vorreiter im Umgang mit vermeintlich heiklen gesellschaftspolitischen Themen und in der Überwindung alter Konventionen ist sicherlich Dove zu nennen, die mit ihren Kampagnen spannende Beispiele liefern. Zum letzten Jahreswechsel interessant war die internationale Weihnachtskampagne von Lidl – vor allem deshalb, weil man die Infragestellung der Bedeutung eines Weihnachtsmannes gerade einem Unternehmen wie Lidl nicht zugetraut hätte.

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